Steuerreform 2000 bringt nachhaltige Entlastung
ForschungAm 21. Dezember 1999 hat die Bundesregierung die Eckwerte für ihr "Steuerreformpaket 2000" verkündet. Danach sollen zusätzliche Investitionsanreize geschaffen und die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschlands gesichert werden. Konkret ist für Kapitalgesellschaften vorgesehen, zum 1. Januar 2001 den gespaltenen Körperschaftsteuersatz für einbehaltene (bisher 40 Prozent) und ausgeschüttete Gewinne (bisher 30 Prozent) zu vereinheitlichen und auf 25 Prozent zu reduzieren. Das Vollanrechnungsverfahren wird abgeschafft und durch ein sogenanntes Halbeinkünfteverfahren ersetzt, wonach Dividenden zur Milderung der Doppelbesteuerung mit Einkommen- und Körperschaftsteuer nur noch zur Hälfte in die einkommensteuerliche Bemessungsgrundlage einbezogen werden. Die wesentlichen zur Gegenfinanzierung bekanntgewordenen Maßnahmen sehen eine Reduktion der degressiven Abschreibungsprozentsätze für bewegliche Wirtschaftsgüter (z.B. Maschinen) von 30 auf 20 Prozent und für Gebäude von vier auf drei Prozent vor.
Die Auswirkungen derartiger Steuerreformänderungen auf ein Durchschnittsunternehmen des Verarbeiten Gewerbes wurden mit dem Computersimulationsprogramm European Tax Analyzer ermittelt, das am Zentrum für Europä:ische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Kooperation mit der Universität Mannheim entwickelt wurde. Die Berechnungen ergeben für dieses Unternehmen eine Reduktion der Steuerbelastung um 6,9 Prozent von bisher 22,1 Mio. DM auf circa 20,5 Mio. DM. Eine genaue Analyse der Steuerbelastungswirkungen zeigt, dass die aus der Reduktion des Körperschaftsteuersatzes resultierende Entlastung i.H.v. 2,7 Mio. DM durch die Verschlechterung der Abschreibungsbedingungen (Belastungserhöhung: 1,2 Mio. DM) nahezu zur Hälfte aufgezehrt wird. Damit liegen die Entlastungen am unteren Ende der Skala, die vom Bundesfinanzministerium angegeben wurde. Das BMF selbst rechnet in Abhängigkeit vom Ausschüttungsverhalten mit einer Belastungsreduktion zwischen 5,7 und 21,7 Prozent, berücksichtigt den Effekt aus der Verbreiterung der Bemessungsgrundlage entgegen den ZEW-Berechnungen allerdings nur durch einen pauschalen Zuschlag.
Im internationalen Vergleich ergibt sich aus der Umsetzung der geplanten Maßnahmen eine Annäherung an das Belastungsniveau in anderen wichtigen Industrienationen. Die Steuerbelastung des betrachteten deutschen Unternehmens würde um annähernd 2,5 Prozent unter dem US-amerikanischen und um fast 19 Prozent unter ihrem französischen Pendant liegen. Allerdings würde auch nach der Steuerreform die Belastung des deutschen Unternehmens circa 19,6 Prozent über dem entsprechenden niederländischen und sogar 32,3 Prozent über dem entsprechenden britischen Unternehmen liegen. Wenngleich gegenüber Großbritannien und den Niederlanden auch weiterhin erhebliche Belastungsdifferenzen bestehen, ist im Ergebnis eine signifikante, allerdings auch notwendige Verbesserung der deutschen Wettbewerbsposition zu konstatieren. Zu berücksichtigen ist indes, dass in den Berechnungen angekündigte Steuerreformmaßnahmen der anderen Staaten mangels konkreter Kenntnisse über deren Ausgestaltung unberücksichtigt blieben. Die ermittelten Auswirkungen werden damit aus deutscher Sicht tendenziell überschätzt.
Somit ergeben sich auf Unternehmensebene insgesamt positive Effekte. Allerdings wird die ursprüngliche Zielsetzung der Brühler Steuerreformkommission, deutsche Unternehmen mit maximal 35 Prozent zu belasten, dadurch nicht ganz erreicht. Die nominale Belastung der Unternehmensgewinne mit Gewerbe- und Körperschaftsteuer (incl. Solidaritätszuschlag) liegt bei etwa 38,6 Prozent. Sie unterschreitet damit die kritische Marke von 40 Prozent. Im Ranking der Mitgliedstaaten der Europäischen Union verbessert sich Deutschland damit von der 15. und letzten auf die 11. Position, was bei einem EU-Durchschnittswert von 35,4 Prozent einem Platz im Mittelfeld entspricht.
Soll die Steuerreform im Hinblick auf deren Zielkonformität "Entlastung des Mittelstandes" beurteilt werden, ist zusätzlich zur Ebene der Kapitalgesellschaft die Ebene des Anteilseigners zu betrachten. Bei Berücksichtigung von Unternehmens- und Anteilseignerebene ergeben die mit dem European Tax Analyzer durchgeführten Berechnungen für den betrachteten Zeitraum von zehn Jahren eine Verringerung der Gesamtsteuerbelastung um nahezu 3,5 Mio. DM auf 26,6 Mio. DM. Diese Verringerung resultiert zum einen aus einer vorgezogenen, ursprünglich für das Jahr 2002 geplanten, Absenkung der individuellen Einkommensteuersätze, andererseits aus einer Vermeidung der wirtschaftlichen Doppelbesteuerung ausgeschütteter Gewinne durch das Halbeinkünfteverfahren. Eine solche Entlastung entsteht beim Halbeinkünfteverfahren jedoch nur dann, wenn der persönliche (marginale) Einkommensteuersatz der Anteilseigner größer als 40 Prozent ist. Dies war bei den durchgeführten Berechnungen der Fall. Würde der persönliche Einkommensteuersatz unter 40 Prozent liegen, entstünde gegenüber der bisherigen Regelung (Vollanrechnungssystem) eine Belastung. Dies ist darauf zurückzuführen, dass im neuen Modell die Definitivbelastung mit Körperschaftsteuer zuzüglich der halben Einkommensteuer auf die Dividenden bis zu diesem Steuersatz höher ist als die ausschließliche Belastung der Dividenden mit Einkommensteuer im bisherigen Vollanrechnungsverfahren. Bei höheren Einkommensteuersätzen ergibt sich ein umgekehrtes Bild.
Im internationalen Vergleich verbessert sich für die betrachtete Konstellation auch auf Gesamtebene die deutsche Wettbewerbsposition. Deutschland verbessert sich um zwei Plätze und nimmt nunmehr hinter Großbritannien (Gesamtbelastung: 22,7 Mio. DM) den zweiten Rang ein. Bei isolierter Betrachtung der Anteilseignerebene eines mittelständischen Unternehmens ergibt sich sogar die geringste Belastung.
Um das Ziel einer rechtsformneutralen Unternehmensbesteuerung zu erreichen und weiterhin auch Personengesellschaften steuerlich zu entlasten, führt die Bundesregierung ein Optionsmodell ein. Dieses bietet Personengesellschaften die Möglichkeit, sich als Kapitalgesellschaft besteuern zu lassen. Soweit die Personengesellschaft optiert, entsteht damit - vorbehaltlich einer zu erwartenden umwandlungsbedingten Teilauflösung von stillen Reserven - eine von der Rechtsform unabhängige Besteuerung. Bedingt durch die teilweise Definitivbesteuerung von Dividenden im Rahmen des Halbsatzverfahrens führt die Ausübung der Option bei kleinen und mittleren, insbesondere aber ertragsschwachen Betrieben zu einer Mehrbelastung gegenüber dem bisherigen System. Für Personengesellschaften, die nicht optieren, sehen die Reformvorschläge der Bundesregierung eine Anrechnung der Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer vor. Diese Lösung führt jedoch zu einer von der Rechtsform abhängigen Besteuerung. Eine aus der Anrechnung der Gewerbesteuer resultierende Entlastung von insbesondere ertragsschwachen Personengesellschaften wird mithin durch einen Verstoß gegen die eigene Zielsetzung einer rechtsformneutralen Besteuerung erkauft.
Die Anrechnung der Gewerbesteuer ist auf den doppelten Gewerbesteuermessbetrag begrenzt. Infolge dieser Anrechnungslösung hat die Steuerreform Auswirkungen auf die Gemeindefinanzen. Da die Gewerbesteuer nur mit dem fiktiven Hebesatz von 200 Prozent berücksichtigt wird, werden vor allem die Gemeinden mit reichlicher Steuerkraft begünstigt. Dies resultiert unmittelbar aus dem Umstand, daß die Entlastungswirkung proportional zum Gewerbeertrag ist. Von der Anrechnung der Gewerbesteuer bei der Einkommensteuer profitieren auch Gemeinden mit niedrigen Hebesätzen, wenn auch nur sehr bedingt. Bei der Ermittlung des Gewerbeertrages ist nämlich die Gewerbesteuer selbst abzugsfähig, was die Entlastungswirkung vermindert. Dies gilt um so mehr, je höher der Hebesatz ist. In Gemeinden mit niedrigen Hebesätzen ist die Entlastung deswegen etwas stärker. Entgegen der Aussage des Finanzministeriums ist die Begünstigung strukturschwacher Standorte fraglich. Einem etwaigen Vorteil aufgrund niedriger Hebesätze ist die Begünstigung der produktiveren Standorte durch die gewinnabhängige Entlastung gegenüberzustellen. Allenfalls läßt sich eine Aufwertung der Gewerbesteuer gegenüber der Einkommensteuer konstatieren, die den Standortwettbewerb verstärkt und die Gemeindeautonomie fördert. Im Ergebnis ist festzuhalten, dass die Unternehmenssteuerreform durchaus positive Signale setzt. Es gibt jedoch auch einige Einwände. Das Ziel der Bundesregierung, thesaurierte Gewinne nachhaltig zu entlasten, wird durch die vorgeschlagenen Maßnahmen erreicht. Dies stärkt die Eigenkapitalbasis der Unternehmen, verbessert die internationale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen und erhöht die Attraktivität des Standorts Deutschland für in- und ausländische Investoren. Der Weg, die Entlastung durch deutliche Steuersatzsenkungen bei gleichzeitiger Verbreiterung der Steuerbemessungsgrundlage zu bewirken, ist aus systematischer Sicht und mit Blick auf die Signalwirkung von Steuersatzsenkungen zu begrüßen. Gerade mit Blick auf den zunehmenden internationalen Wettbewerb der Steuersysteme zur Schaffung attraktiver Standortbedingungen ist im internationalen Vergleich eine Tendenz zur Senkung der Steuersätze festzustellen. Denn multinationale Unternehmen orientieren sich bei Standort- und Investitionsentscheidungen in erster Linie an den einfach festzustellenden nominalen Steuersätzen und weniger an der schwer meßbaren effektiven Steuerbelastung. Demnach fließen (verdeckte) Bemessungsgrundlagenunterschiede weitaus weniger in ihr Kalkül ein. Aus diesem Grund dürfte die Attraktivität Deutschlands im internationalen Wettbewerb um attraktive steuerliche Standortbedingungen durch eine Senkung der Steuersätze bei gleichzeitiger Verbreiterung der Bemessungsgrundlage stärker ansteigen, als dies bei einer Verringerung der Bemessungsgrundlage bei gleichbleibenden Steuersätzen der Fall wäre.
Im Zusammenhang mit der grenzüberschreitenden Geschäftstätigkeit könnte die geplante Steuerreform trotz Steuersenkung sogar positive Aufkommenseffekte haben. Dies gilt zumindest dann, wenn ausländische Investoren verstärkt von der bislang privilegierten Fremd- zur Eigenkapitalfinanzierung übergehen, und damit Gewinne vermehrt in Deutschland versteuert werden. Auch bei deutschen Großunternehmen dürften die Anreize zur steuerlich motivierten Verlagerung von Produktionsstätten ins Ausland künftig geringer sein. Unklar ist allerdings, ob die geplanten Steueränderungen, wie von der Bundesregierung beabsichtigt, die Investitionsbereitschaft in Deutschland tatsächlich erhöhen werden. Denn die Steuersatzsenkung begünstigt zunächst einmal sämtliche Investitionen, also auch realwirtschaftlich unbedeutende Finanzanlagen. Allerdings profitieren Sachinvestitionen weniger stark, da sich mit abnehmendem Steuersatz gleichzeitig der Vorteil aus der Abschreibungsverrechnung vermindert. Hinzu kommen die explizit verschlechterten Abschreibungsbedingungen, die einseitig zu Lasten von Maschinen- und Gebäudeinvestitionen gehen. Der Haupteinwand gegen die vorgesehene Umsetzung der Steuersenkungen besteht denn auch in der fragwürdigen Abgrenzung von Investitionen, die innerhalb eines Unternehmens durchgeführt und somit von niedrigeren Steuersätzen profitieren, gegenüber nicht begünstigten vergleichbaren Investitionen im Privatbereich. Die Begünstigung "unternehmerischer" Gewinne fördert prinzipiell deren Einbehaltung bzw. Verlagerung in das Unternehmensvermögen. Dies ist unter allokationspolitischen Gesichtspunkten bedenklich und führt künftig zu zahlreichen Abgrenzungsproblemen.
Zusätzliche Verzerrungen resultieren aus der Abschaffung des körperschaftsteuerlichen Vollanrechnungsverfahrens und dessen Ersatz durch das sogenannte Halbeinkünfteverfahren. Nach Ansicht der Bundesregierung ist das Anrechnungsverfahren aus europarechtlicher Sicht nicht weiter haltbar. Es verstoße gegen zentrale Bestimmungen des EG-Vertrages, wenn ausländische Dividenden im Gegensatz zu deutschen Dividenden nicht zur Anrechnung der Körperschaftsteuer berechtigten, da dies eine Diskriminierung von Auslandsinvestitionen darstelle. Beim Halbeinkünfteverfahren treten diese europarechtlichen Bedenken zwar nicht auf, da der vorgesehene Entlastungsmechanismus für in- und ausländische Dividenden gilt.Allerdings wird diese Verbesserung der internationalen Neutralität des Steuersystems durch zahlreiche neue Verzerrungen im nationalen Bereich erkauft. Da künftig der persönliche Einkommensteuersatz des Anteilseigners darüber bestimmt, ob Kapitalgesellschaften eher mit Eigen- oder eher mit Fremdkapital finanziert werden und ob Gewinne einer Kapitalgesellschaft über Ausschüttungen oder Gesellschafter-Verträge (z.B. Gehaltszahlungen) an die Gesellschafter gelangen sollen, sind die Wirkungen der geplanten Steuerreform auf betriebliche Entscheidungen völlig unbestimmt. Dies gilt gleichermaßen für Personenunternehmen, die sich für die Besteuerung als Kapitalgesellschaft entscheiden, sowie hinsichtlich der Belastungsunterschiede zwischen körperschaftsteuerpflichtigen Unternehmen und Personenunternehmen, die weiterhin der Einkommensteuer unterliegen. Infolge der Abschaffung des Anrechnungsverfahrens, dessen Europatauglichkeit sich grundsätzlich durch eine sogenannte Anrechnung über die Grenze herstellen ließe, kann somit von einer Wettbewerbsneutralität der Besteuerung künftig noch weniger als heute die Rede sein.
Ansprechpartner
Prof. Dr. Thiess Büttner, E-Mail: buettner@zew.de
Rico A. Hermann, E-Mail: hermann@zew.de
Prof. Dr. Robert Schwager, E-Mail: schwager@zew.de
Dr. Thorsten Stetter, E-Mail: stetter@zew.de
Wirkungen auf Ebene einer mittelständischen Kapitalgesellschaft | |
| Unternehmensebene |
Steuerbelastung nach Rechtsstand 1999 | 22.082.229 |
- Entlastung durch Senkung der KSt-Sätze auf 25% | 2.721.693 |
+ zusätzliche Belastungen durch Änderungen der AfA | 1.207.638 |
= Steuerbelastung nach Rechtsstand 2001 | 20.568.174 |
Steuerbelastung sind für einen zehnjährigen Betrachtungszeitraum eines durchschnittlichen mittelständischen Unternehmens des verarbeitenden Gewerbes berechnet worden. |
| Steuerbelastung im internationalen Vergleich | |||||
| D 1999 | D 2001 | GB | F | NL | USA |
Unternehmensebene | 22.082.229 | 20.568.174 | 15.550.937 | 25.335.887 | 17.198.468 | 21.076.815 |
+ Anteilseignerebene | 7.975.409 | 6.036.110 | 7.192.880 | 11.078.515 | 9.663.370 | 7.026.890 |
= Gesamtebene | 30.057.638 | 26.604.284 | 22.743.817 | 36.414.402 | 26.861.838 | 28.103.705 |
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Steuerbelastung sind für einen zehnjährigen Betrachtungszeitraum eines durchschnittlichen mittelständischen Unternehmens des verarbeitenden Gewerbes berechnet worden. |
Nominale Steuersätze auf Unternehmensgewinne
im europäischen Vergleich in Prozent
Belgien | 40,17 |
Dänemark | 34,00 |
Deutschland 1998 | 56,70 |
Deutschland 1999 | 52,35 |
Deutschland Reform | 38,65 |
Finnland | 28,00 |
Frankreich | 40,00 |
Griechenland | 35,00 |
Großbritannien | 30,00 |
Irland | 28,00 |
Italien | 41,25 |
Luxemburg | 37,45 |
Niederlande | 35,00 |
Österreich | 34,00 |
Portugal | 37,40 |
Schweden | 28,00 |
Spanien | 44,75 |
Durchschnitt - 1998 - 1999 - Reform |
36,65 36,36 35,42 |