Übergriffe auf Asylsuchende treten vor allem dort auf, wo es wenig Erfahrung mit Zuwanderung gibt
ForschungHasskriminalität in Deutschland hat seit dem Zustrom von Geflüchteten in den vergangenen Jahren stark zugenommen. In manchen Regionen ist der Anstieg solcher Straftaten jedoch deutlich stärker als in anderen. Dabei ist nicht die bloße Anzahl der Geflüchteten entscheidend, die in einem Landkreis aufgenommen wird. Landkreise, die viele Geflüchtete aufgenommen haben und zuvor nur einen geringen Anteil an ausländischen Einwohnern/-innen hatten, verzeichnen den stärksten Anstieg an Hasskriminalität. Dabei ist die Gefahr für Asylsuchende, Opfer von Hasskriminalität zu werden, in Ostdeutschland zehnmal höher als in Westdeutschland. Zu diesen Ergebnissen kommt eine Studie des ZEW – Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim gemeinsam mit der Goethe-Universität Frankfurt am Main.
Unter Hasskriminalität lassen sich politisch motivierte Straftaten verstehen, deren Ausübung auf Vorurteilen gegen und Ablehnung von anderen sozialen Gruppe beruht. Die Wissenschaftler untersuchen Hasskriminalität, die gegen Asylbewerberunterkünfte und ihre Bewohner/innen gerichtet sind. Zu solchen Verbrechen zählen sowohl Volksverhetzungen und Hakenkreuz-Schmierereien als auch körperliche Angriffe und Brandanschläge.Die Autoren der Studie gehen dabei der Frage nach, ob Größe und regionale Verteilung des Zustroms von Asylsuchendenzu mehr Hasskriminalität gegen diese Gruppe führt und welche Determinanten zusätzlich Einfluss auf die Entstehung von Hasskriminalität nehmen. Die Studie basiert auf allen polizeilich registrierten Vorfällen von Hasskriminalität gegen Asylbewerberunterkünfte und den darin lebenden Menschen für die Jahre 2013 bis 2015.
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass es keinen direkten Zusammenhang zwischen dem rein zahlenmäßigen Zustrom von Asylsuchenden und Hasskriminalität in den jeweiligen Kreisen gibt. Landkreise und kreisfreie Städte mit einem höheren Zustrom an Geflüchteten verzeichnen also pro Kopf nicht mehr Angriffe gegen Asylsuchende als diejenigen Kreise mit weniger Asylsuchenden. Der Studie zufolge sind eher regionale Unterschiede für den Anstieg von Hasskriminalität verantwortlich – die Wissenschaftler haben hierbei untersucht, ob der Anteil an schon ansässigen Migranten/-innen, die wirtschaftliche Situation der Kreise sowie die schon in den 1990er Jahren verübte Hasskriminalität gegen Ausländer die heutigen regionalen Unterschiede erklären können.
Das Verhältnis von Einheimischen zu schon ansässigen Ausländern, spielt dabei die wichtigste Rolle: Die Zahl der Angriffe auf Asylsuchende ist in Regionen mit einem zuvor geringen Ausländeranteil höher als in Regionen mit einem bereits hohen Ausländeranteil. „Ob Hasskriminalität gegen Geflüchtete vorkommt, hängt vor allem davon ab, wie viel Erfahrung eine Region schon mit Zuwanderung hat“, erläutert Martin Lange, Studienautor und Wissenschaftler im ZEW-Forschungsbereich „Arbeitsmärkte und Personalmanagement“.
Hasskriminalität gegen Asylsuchende nicht von wirtschaftlichen Motiven getrieben
Im bundesweiten Vergleich ist das Ausmaß der Übergriffe in Ostdeutschland wesentlich höher: Bei einem Ausländeranteil von drei Prozent und einen Zustrom von 1000 Asylsuchenden pro 100.000 Einwohnern kommt es im Durchschnitt in einem ostdeutschen Kreis zu zwei bis drei Übergriffen im Jahr. Für einen vergleichbaren Kreis in Westdeutschland sind es 0,4 bis 0,6 Übergriffe.
Zudem finden die Wissenschaftler Belege dafür, dass es zu mehr Hasskriminalität gegen Asylsuchende in Regionen kommt, wo es schon vor 25 Jahren Übergriffe auf Ausländer gab. „Der Anstieg der Hasskriminalität hängt auch damit zusammen, dass fremdenfeindliche Sichtweisen in den betroffenen Regionen bereits zuvor zu beobachten waren und verfestigt zu sein scheinen“, erklärt Martin Lange. „Schon wenige neue Asylsuchende reichen aus, um in manchen Regionen verstärkt Hasskriminalität hervorzurufen“.
Die wirtschaftlichen Bedingungen vor Ort spielen bei diesem Phänomen nur eine untergeordnete Rolle. „Hasskriminalität gegen Ausländer hat in erster Linie keine wirtschaftlichen Motive. Es wäre daher politisch wichtig, das Bewusstsein und das Mitgefühl bei der Zuweisung von Asylsuchenden in Regionen mit begrenzter Migrationserfahrung zu stärken“, so Martin Lange.
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