ZEW und weitere Wirtschaftsforschungsinstitute der Leibniz-Gemeinschaft ziehen Zwischenbilanz nach fünf Jahren Euro-Krise: Wichtige Reformschritte stehen nach wie vor aus

Forschung

Europa ist dem Problem massiver Staatsverschuldung längst noch nicht Herr geworden. Foto: Iñaki Antoñana Plaza / istockphoto

Die europäische Flüchtlingskrise hat die europäische Schuldenkrise medial derzeit in den Hintergrund gedrängt. Das Problem der hohen Staatsverschuldung in der Eurozone ist allerdings mitnichten gelöst und kann in Zukunft zu neuen akuten Krisenschüben führen. Insbesondere fehlt nach wie vor ein System zum Umgang mit insolventen Mitgliedstaaten. Das ist das Ergebnis einer Zwischenbilanz zum Stand der Eurokrise, die Ökonomen des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) gemeinsam mit Wissenschaftlern aus fünf weiteren Wirtschaftsforschungsinstituten der Leibniz-Gemeinschaft vorgelegt haben.

Die Wissenschaftler sehen durchaus eine Reihe von positiven Entwicklungen. So darf ihrer Ansicht nach der bisherige Misserfolg im Falle Griechenlands nicht den Blick dafür verstellen, dass in anderen Krisenstaaten positive Entwicklungen zu beobachten sind. Das Bruttoinlandsprodukt in Irland, Portugal und Spanien beispielsweise ist seit 2013 wieder gestiegen. In Irland hat es bereits wieder das Vorkrisenniveau erreicht. Zudem konnten die Haushaltsdefizite in Irland, Portugal und Spanien zurückgeführt werden.

Mit Blick auf die zur Rettung des Euro ergriffenen Notfallmaßnahmen kommen die Wissenschaftler in ihrer Zwischenbilanz zu dem Schluss, dass diese zwar vertretbar sind, allerdings erhebliche und schädliche Nebenwirkungen haben. Diese langfristigen Konsequenzen sind ihrer Meinung nach zu sehr außer Acht gelassen worden. Die Europäische Zentralbank etwa ist durch ihre Anleihenkaufprogramme in eine problematische Rolle bei der Staatsfinanzierung geraten. Sie sorgt mit dem Programm dafür, dass die Euroländer sich günstiger finanzieren können und setzt damit leider auch negative Anreize, Reformen nicht entschlossen weiter voranzutreiben.

Diese fatale Wirkung des Programms ist deshalb besonders gravierend, weil noch immer keine Regelung für eine geordnete Staatsinsolvenz in der Eurozone besteht. Das Fehlen einer solchen Regelung macht die Drohung, hoch verschuldete Staaten im Notfall sich selbst zu überlassen, unglaubwürdig. Welche Probleme hieraus erwachsen, zeigte sich an der ersten Tsipras-Regierung in Griechenland mehr als deutlich. Außerdem ist aktuell in keiner Weise absehbar, ob die Reformzusagen der neuen Tsipras-Regierung eingehalten werden. Erst wenn tatsächlich eine Insolvenzordnung für souveräne Staaten in der Eurozone besteht, ist die Drohung mit einer Staatspleite kein zahnloser Tiger mehr.

Die Zwischenbilanz zur Eurokrise macht deutlich, dass es riskant wäre, nicht auf weitere Reformen für die Eurozone zu drängen, nur weil derzeit andere Probleme im Vordergrund stehen. Die zögerliche wirtschaftliche Entwicklung, bereits jetzt absehbare erneute Verstöße gegen die Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts und ein ungenügendes Reformtempo in vielen Staaten der Eurozone erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer Wiederkehr von Vertrauenskrisen um hoch verschuldete Eurostaaten in der Zukunft.

Es ist daher unbedingt erforderlich, die ebenfalls bestehenden Defizite beim Sanktionsmechanismus des Stabilitätspakts zu beseitigen. So steht nach wie vor dem Rat die letzte Entscheidung zu, sodass verschuldete Regierungen sich letztlich immer noch selbst überwachen und sanktionieren müssen. Die bisherigen Maßnahmen und Reformen sollten daher eher als ein Auftakt zu weiteren Reformen gesehen werden.

Die vorliegende Zwischenbilanz ist eine gemeinsame Arbeit der sechs Leibniz-Wirtschaftsforschungsinstitute im Leibniz-Forschungsverbund "Krisen einer globalisierten Welt" (in alphabetischer Reihenfolge): Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), ifo Institut - Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (ifo München), Institut für Weltwirtschaft (ifw Kiel), Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung (RWI Essen), ZEW Mannheim.

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