Zu wenig Ingenieure und Naturwissenschaftler: Gefahr für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft

Forschung

In den vergangenen 15 Jahren hat in der deutschen Wirtschaft der Anteil der Beschäftigten mit einer akademischen Qualifikation erheblich zugenommen. Auch in Zukunft ist mit einem steigenden Bedarf an Hochschulabsolventen zu rechnen. Indessen geht seit Mitte der neunziger Jahre die Anzahl der Hochschulabsolventen insgesamt, und insbesondere die der Absolventen ingenieur- und naturwissenschaftlicher Fächer stark zurück.

Der zu geringe Erfolg des deutschen Bildungssystems, insbesondere auch des Hochschulbereichs, genügend Akademiker ingenieur- und naturwissenschaftlicher Fachrichtungen hervorzubringen, ist Besorgnis erregend. Denn es sind primär diese Qualifikationen, die auch in Zukunft in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen müssen, um die technologische Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft auf den globalisierten Märkten zu gewährleisten. Ein wichtiger Beitrag zur Lösung dieses Problems wäre die stärkere Studier-Beteiligung von Kindern aus unteren sozialen Herkunftsgruppen, von denen bisher nur ein deutlich unterproportionaler Teil ein Studium aufnimmt. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), Mannheim, und der Hochschul-Informations-System GmbH (HIS), Hannover.

Wie bedroht die Innovationskraft der deutschen Unternehmen in Zukunft ist, machen die folgenden Zahlen deutlich: Haben Mitte der 1990er Jahre jährlich noch rund 48.000 Ingenieure und fast 19.000 Naturwissenschaftler die deutschen Hochschulen mit einem Diplom verlassen, waren es 2001 nur noch rund 33.500 Ingenieure und 13.500 Naturwissenschaftler. Nach der Prognose der Kultusministerkonferenz werden die Absolventenzahlen der Ingenieure bis 2006 nur geringfügig und die der Naturwissenschaftler nur im Bereich Informatik nennenswert ansteigen.

Diese Entwicklung ist vor allem deswegen Besorgnis erregend, weil Deutschland im internationalen Vergleich ohnehin sehr geringe Akademikerquoten und eine Unterbesetzung mit technikorientierten Akademikern aufweist. So betrug der Anteil von Hochschulabsolventen an den relevanten Altersjahrgängen im Jahr 2000 in Deutschland knapp 20 Prozent, bei über 25 Prozent im OECD-Durchschnitt. Die Anzahl von Ingenieuren und Naturwissenschaftlern pro 100.000 Erwerbspersonen in der Altersklasse von 25 bis 34 Jahren lag in Deutschland am Ende des Jahrtausends mit unter 700 ebenfalls deutlich unter dem OECD-Durchschnitt, der knapp über 1.000 lag. Es ist daher davon auszugehen, dass in Deutschland ohne eine zügige Erhöhung der Absolventenzahlen oder ohne eine erhebliche Steigerung der Zuwanderungszahlen technologisch qualifizierter ausländischer Akademiker erhebliche Fachkräfteknappheiten wirksam werden, mit entsprechenden wirtschaftlichen Folgen.

Wo liegen die Bildungspotenziale, die in Deutschland mobilisiert werden könnten, um einen wohlstandsgefährdenden Mangel an technisch-naturwissenschaftlich qualifizierten Akademikern abzuwenden? Grundsätzlich muss in Deutschland der Anteil der Personen, die überhaupt eine akademische Ausbildung antreten können, deutlich steigen. Mit einem Anteil studienberechtigter Schulabgänger von 33 bis 37 Prozent (je nach Messmethode) eines Altersjahrgangs lag Deutschland zum Ende des Jahrtausends deutlich unter dem OECD-Durchschnitt von über 55 Prozent und auch deutlich unter den Anteilen aller wichtigen Industrieländer.

Dies hat seine Ursache ganz wesentlich darin, dass im deutschen Schulsystem die Chancen für Kinder von Eltern mit geringem Bildungsstand und niedrigem Einkommen, eine Hochschule zu besuchen, sehr gering sind. Von 100 Kindern hoher sozialer Herkunft (hoher Bildungsstand, hohes Einkommen) erreichen 84 die gymnasiale Oberstufe und 72 beginnen ein Hochschulstudium. Von 100 Kindern aus der unteren sozialen Herkunftsgruppe (niedriger Bildungsstand der Eltern, niedriges Einkommen) treten dagegen nur 33 in eine gymnasiale Oberstufe ein und nur 8 nehmen ein Studium auf. In diesen Unterschieden drücken sich nicht sozialgruppenspezifische Begabungsunterschiede aus, sondern vielmehr die mangelhafte Fähigkeit des deutschen Schulsystems, die elternhausbedingten unterschiedlichen Voraussetzungen durch entsprechende Förderung wettzumachen. Die geringe Studier-Beteiligung von Studenten niedriger sozialer Herkunft ist unter dem Aspekt der technologischen Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft deswegen besonders problematisch, weil gerade Studienanfänger aus diesen Herkunftsgruppen zu deutlich überdurchschnittlichen Anteilen technisch-naturwissenschaftliche Studiengänge wählen. Eine durchgreifende Erhöhung ihrer Studentenzahlen hätte deshalb merkliche Auswirkungen auf die Erhöhung der Absolventenzahlen der dringend benötigten Ingenieure und Naturwissenschaftler.

Ansprechpartner

Jürgen Egeln, Telefon: 0621/1235-176, E-Mail: egeln@zew.de  

Dr. Christoph Heine (HIS), E-Mail: heine@his.de

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