Tarifbindung und die ökonomische Rationalität von Lohnrigiditäten
ZEW Discussion Paper Nr. 01-01 // 2001Unternehmen senken auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten selten die Löhne. Die ökonomische Theorie hat als Ursache für Lohnrigiditäten eine Reihe von Argumenten vorgetragen, die zeigen, dass es durchaus rational sein kann, die Löhne nicht ständig der sich ändernden Arbeitsmarktsituation anzupassen, sei dies aus der Sicht der Arbeitnehmer oder Gewerkschaften (wie beispielsweise die "Insider-Outsider"-Theorie), sei dies aus dem Blickwinkel der Unternehmen (wie beispielsweise die Effizienztheorie). Bislang fehlte es jedoch noch an einer systematischen empirischen Überprüfung dieser Thesen. Denn neben dem rechtlichen Regelungsrahmen ist es notwendig, die betriebliche Rationalität von Lohnrigiditäten zu berücksichtigen. Mit der vorliegenden Studie werden erstmals ökonometrische Analysen auf der Basis einer repräsentativen Erhebung über die Lohn- und Beschäftigungs-politik von fast 40 v.H. der privaten Unternehmen in Deutschland vorgestellt. Damit schließt die Studie eine Forschungslücke zwischen Einzelfallstudien zur Entgeltfindung in den Unternehmen und sektoralen sowie gesamtwirtschaftlichen Analysen zum Zusammenhang zwischen Lohnstrukturen und Beschäftigung. Unternehmen stimmen den in der Arbeitsmarktökonomik entwickelten Theorien in hohem Maße zu, wobei dem Aspekt der qualifikatorischen Differenzierung von Arbeitsmärkten, die empirisch von hoher Relevanz zu sein scheint, in der Theorie vielleicht noch zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Für die Gruppe der gering qualifizierten Arbeitnehmer stellen Tarifverträge und implizite Lohnkontrakte wesentliche Ursachen für Rigiditäten dar; für hochqualifizierte Arbeitnehmer stehen Personalbeschaffungs- und Einarbeitungskosten sowie betriebsspezifisches Humankapital im Vordergrund. Unternehmen sehen von Lohnsenkungen auch deshalb ab, weil dadurch die Gefahr der Abwanderung der jeweils produktivsten Arbeitnehmer zunimmt und negative Signale für die Anwerbung neuer Mitarbeiter gesetzt würden.
Die Ergebnisse verdeutlichen das Zusammenwirken rechtlicher und ökonomischer Faktoren bei der Lohnfindung, die sich als Ursachen von Lohnrigiditäten ergänzen. Flächentarifverträge haben aufgrund ihres kollektiven Charakters grundsätzlich das Potenzial, Unvollkommenheiten der Lohnfindung, die beispielsweise durch Effizienzlöhne zustande kommen können, zu beheben. Trotz der vergleichsweise großen Verbreitung von Flächentarifen in Deutschland scheint dies allerdings nicht zu funktionieren. Denn den Ergebnissen dieser Studie folgend verursachen Tarifverträge und Effizienzlöhne für jeweils unterschiedliche Gruppen von Unternehmen und Arbeitnehmern Lohnrigiditäten. Lohnrigiditäten auf den Arbeitsmärkten für Hochqualifizierte dürften weitgehend auf Effizienzlöhnen, und Lohnrigiditäten auf den Arbeitsmärkten für gering Qualifizierten weitgehend auf Tariflöhnen und impliziten Kontrakten beruhen.
Eine Ursache für die offensichtlich fehlende Korrekturfunktion von Tarifverträgen dürfte demnach in der Verbindung der Arbeitsmärkte zwischen den Qualifikationsgruppen liegen. Steigen beispielsweise die Löhne der hochqualifizierten Arbeitnehmer aufgrund einer Übernachfrage, dann führt dies, Gerechtigkeitsaspekten folgend in Tarifverhandlungen zu Lohnsteigerungen auch auf den anderen Arbeitsmärkten, um einer zu starken Lohndifferenzierung entgegenzuwirken. Daneben können Effekte von unvollkommenen Finanzmärkten Unvollkommenheiten auf Arbeitsmärkten verstärken. Implizite Kontrakte können beispielsweise eine Antwort auf Kreditmarktrestriktionen für Geringverdiener sein.
Die Rationalität von Lohnrigiditäten hängt somit vom Arbeitsrecht einerseits und spezifischen Arbeitsmarktmechanismen anderseits ab. Insofern geht es bei den Ursachen von Lohnrigiditäten nicht um Marktversagen oder Macht, sondern um Marktunvollkommenheiten und Macht. Während die Studie Evidenz für die betriebliche Rationalität von Lohnrigiditäten liefert (Effizienzlöhne), harrt die (politische) Rationalität des Arbeitsrechtes und die dahinter stehende Vermachtung von Teilen des Arbeitsmarktes noch einer tiefergehenden empirischen Analyse. Diese müßte eine Untersuchung des Wahlverhaltens von Arbeitnehmern und Arbeitslosen beinhalten.
Für eine Reform des Arbeitsrechtes und der Arbeitsmarktinstitutionen kommt es letztlich auf die Abwägung von Insider- und Outsiderinteressen in politischen Abstimmungsprozessen an. Insofern die Interessen von Insidern und Outsidern im Rahmen der parlamentarischen Demokratie adäquat berücksichtigt werden, würde demnach ein Teil der Arbeitslosigkeit, für die Betroffenen abgemildert durch Transferzahlungen und aktive Arbeitsmarktpolitik, die aktuellen ebenso wie die vergangenen Mehrheitsverhältnisse widerspiegeln.
Franz, Wolfgang und Friedhelm Pfeiffer (2001), Tarifbindung und die ökonomische Rationalität von Lohnrigiditäten, ZEW Discussion Paper Nr. 01-01, Mannheim.