Union Density and Varieties of Coverage: The Anatomy of Union Wage Effects in Germany
ZEW Discussion Paper Nr. 08-012 // 2008Tarifverhandlungen in Deutschland finden entweder auf Branchenebene oder auf Firmenebene statt; die Tarifbindung ist wesentlich höher als der Organisationsgrad der Gewerkschaften; und nicht alle Beschäftigten in einer tarifgebundenen Firma sind tarifgebunden. Diese institutionelle Aspekte legen es nahe, die Effekte der gewerkschaftlichen Macht – gemessen am Organisationsgrad in einem Arbeitsmarktsegment – von der Tarifbindung auf Firmenebene und der Tarifbindung auf individueller Ebene zu unterscheiden. Standardergebnisse in der Theorie und empirische Ergebnisse in der Literatur lassen erwarten, dass eine Tarifbindung mit höheren Löhnen und geringerer Lohndispersion einhergeht. Jedoch kann es auch Spillover-Effekte (Übertragungseffekte) aus dem tarifgebundenen Bereich in den nicht tarifgebundenen Bereich geben. Einerseits mögen nicht tarifgebundene Firmen höhere Löhne zahlen, um die Organisation einer Gewerkschaft zu verhindern („union threat effect“). Andererseits mag die Reduktion der Beschäftigung durch höhere Löhne im tarifgebundenen Bereich zu einem erhöhten Arbeitsangebot im nicht tarifgebundenen Bereich führen. Letzteres mag dort einen Lohndruck nach unten auslösen. Eine Firma kann gleichzeitig tarifgebundene und nicht tarifgebundene Arbeitnehmer beschäftigen. Dies kann daran liegen, dass eine Firma gute Beschäftigte vergleichsweise gut bezahlt oder dass nur hinsichtlich eines Teils der Beschäftigten eine Verpflichtung besteht einen Tarifvertrag anzuwenden. Letzteres kann zum Beispiel der Fall sein, wenn eine Firma den Arbeitgeberverband verlassen hat. Dann gilt der Tarifvertrag noch für die bisherigen Beschäftigten (Bindungswirkung), aber nicht für neu eingestellte Beschäftigte. Ähnliches gilt, wenn die Firma aus einem Zusammenschluß einer bisher tarifgebundenen Firma und einer bisher nicht tarifgebundenen Firma entsteht. Aufgrund der negativen Koalitionsfreiheit darf ein Tarifvertrag nicht zwischen Gewerkschaftsmitgliedern und Nichtmitgliedern diskriminieren. Daher kann es keinen individuellen Mitgliedschaftseffekt auf Löhne geben. Gleichwohl kann der Organisationsgrad in einem Arbeitsmarktsegment, als Maß für die Verhandlungsstärke der Gewerkschaften, das Ausmaß des Effektes der Tarifbindung beeinflussen. Ein höherer Organisationsgrad verstärkt den lohnerhöhenden Effekt der Tarifbindung, da die Gewerkschaften stärker ihre Präferenzen durchsetzen können. Gleichzeitig beeinflusst der Organisationsgrad auch die Löhne im nicht tarifgebundenen Bereich über die oben erwähnten Spillover-Effekte. Dies ist die erste empirische Arbeit, die die im Folgenden genannten drei Dimensionen des gewerkschaftlichen Einflusses auf Löhne unterscheidet: (1) Tarifbindung durch einen Haustarifvertrag oder durch einen Flächentarifvertrag, (2) Tarifbindung der Firma oder individuelle Tarifbindung und (3) Organisationsgrad der Gewerkschaften. Auf Basis eines sehr informativen verknüpfte Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Datensatzes, der Gehalts- und Lohnstrukturerhebung 2001, schätzt diese Arbeit gleichzeitig die Lohneffekte dieser drei Dimensionen des gewerkschaftlichen Einflusses. Hierzu werden sowohl OLSRegressionen als auch Quantilsregressionen angewendet. Ceteris paribus geht ein höherer Anteil von tarifgebundenen Beschäftigten in einer Firma mit höheren Löhnen und geringerer Lohndispersion einher. Dies gilt sowohl für den Flächentarifvertrag als auch für den Haustarifvertrag. Jedoch zeigt individuelle Tarifbindung in einer tarifgebundenen Firma einen negativen Einfluss auf das Lohnniveau. Der negative Einfluss der individuellen Tarifbindung ist stärker im oberen Bereich der Lohnverteilung. Die Tarifbindung reduziert daher die Lohnungleichheit. Die Ergebnisse sind mit der Hypothese vereinbar, dass Firmen einen Tarifvertrag anwenden, um eine transparente Lohnpolitik durchzuführen. Jedoch erhalten Beschäftigte in tarifgebundenen Firmen eine Risikopräme, wenn sie nicht individuell tarifgebunden sind. Diese Beschäftigten gehören zu den erfolgreicheren Beschäftigten und sind nicht gewerkschaftlich organisiert. Die Löhne dieser erfolgreichen Beschäftigten sind höher in erfolgreichen Firmen, in denen der Effekt der Tarifbindung ebenfalls vergleichsweise hoch ist. Hier sind die Tarifverhandlungen ebenfalls erfolgreich in der Rentenextraktion. Nach Berücksichtigung der verschiedenen Dimensionen der Tarifbindung finden sich ebenfalls signifikante Effekte des Nettoorganisationsgrades der Gewerkschaften auf das Lohnniveau und die Lohndispersion. Ceteris paribus geht ein höherer Organisationsgrad in einem Arbeitsmarktsegment im Durchschnitt einher mit niedrigeren Löhnen und der Effekt ist am stärksten für nicht tarifgebundene Beschäftigte und im oberen Bereich der Lohnverteilung. Gleichzeitig verstärkt ein höherer Organisationsgrad den Effekt der Tarifbindung auf Firmenebene. Zudem reduziert ein höherer Organisationsgrad die Lohndispersion. Dies ist mit dem Versicherungsmotiv für die Wirkung von Gewerkschaften kompatibel. Der gleichförmige negative Einfluss des Organisationsgrades auf die gesamte Lohnverteilung im nicht tarifgebundenen Bereich erfordert jedoch eine andere Erklärung. Dieses Resultat kann durch einen Rückgang der Investitionen in Reaktion auf einen Anstieg des Organisationsgrades oder durch Lohndruck nach unten in Reaktion auf den Rückgang der Beschäftigung im tarifgebundenen Bereich erklärt werden. Die vorgelegte empirische Analyse erlaubt es jedoch nicht, explizit diese beiden Hypothesen zu testen. Die Ergebnisse dieser Arbeit verdeutlichen die Notwendigkeit, verknüpfte Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Daten zu verwenden. Es ist wichtig, die Charakteristika von Beschäftigten und Firmen zu berücksichtigen, wenn die verschiedenen Dimensionen des Einflusses der Gewerkschaften auf die Löhne untersucht werden sollen. Leider können die hier vorgelegten Schätzungen nicht der offensichtlichen Endogenität des Organisationsgrades und der Tarifbindung Rechnung tragen. Daher können die Ergebnisse nicht als kausale Effekte interpretiert werden. Die hier vorliegenden Querschnittsdaten lassen keine Ausschlussrestriktionen zu. Das Endogenitätsproblem wird jedoch dadurch reduziert, dass in der Analyse sowohl Charakteristika der Beschäftigten als auch Charakteristika der Firmen berücksichtigt werden.
Fitzenberger, Bernd, Karsten Kohn und Alexander C. Lembcke (2008), Union Density and Varieties of Coverage: The Anatomy of Union Wage Effects in Germany, ZEW Discussion Paper Nr. 08-012, Mannheim.