Versäumnisse angehen, entschlossen modernisieren
VeranstaltungenVorsitzende der Wirtschaftsweisen präsentiert Jahresgutachten am ZEW
Die deutsche Wirtschaft stagniert seit fünf Jahren – und auch der Blick in die kommenden Jahre gibt wenig Grund für Optimismus. Zur Bewältigung dieser problematischen Gesamtsituation benennt das Jahresgutachten des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung verschiedene Maßnahmen. Die Vorsitzende der Wirtschaftsweisen, Prof. Dr. Dr. h.c. Monika Schnitzer, stellte das Gutachten am 2. Dezember 2024 im Rahmen der ZEW-Veranstaltungsreihe „Wirtschaftspolitik aus erster Hand“ vor. Im Anschluss an ihren Vortrag tauschte sie sich mit ZEW-Präsident Prof. Achim Wambach, PhD vor ca. 200 Gästen aus.
Die lang anhaltende Wachstumsschwäche lege nahe, dass konjunkturelle und strukturelle Probleme gleichermaßen auf die deutsche Wirtschaft einwirken. Entsprechend ist schon der Titel des Gutachtens eine Aufforderung: „Versäumnisse angehen, entschlossen modernisieren“. Um den Problemen zu begegnen, müsse der Staat zukunftsorientierte öffentliche Ausgaben priorisieren.
Strukturelle Probleme im Land
Ihr Vortrag solle kein „Ampel-Bashing“ sein, schließlich gingen die wirtschaftspolitischen Versäumnisse eine ganze Weile länger zurück als die gescheiterte Ampel-Koalition. Deshalb dürfe sich jede Partei, die in den vergangenen 20 Jahren einmal regiert hatte, an die Nase fassen, stellte Schnitzer zu Beginn klar.
Während Weltwirtschaft und globale Produktion deutlich wachsen, stagniere die Entwicklung in Deutschland seit Jahren. Das BIP tritt seit fünf Jahren auf der Stelle: 2024 wird es um 0,1 Prozent schrumpfen, für das kommende Jahr geht Schnitzer von einem Mini-Wachstum um 0,4 Prozent aus. Das sei nicht nur die Folge von einer Reihe an Krisen, die in den vergangen Jahren die deutsche Wirtschaft herausgefordert hatten. Die anhaltend schwache wirtschaftliche Entwicklung sei vor allem durch einen Rückgang von Produktion und Wertschöpfung im Verarbeitenden Gewerbe zu erklären, die allmählich auch den Arbeitsmarkt erreicht und auf Investitionen ausstrahlen dürfe. Es seien nun nicht mehr nur konjunkturelle Schwierigkeiten im Nachgang von Corona- und Energiekrise.
Obwohl die Reallohnverluste nach der hohen Inflation wieder ausgeglichen seien, steige der Konsum nicht. Das weise auf strukturelle Probleme hin. Viele Menschen seien von der gesamtwirtschaftlichen Lage verunsichert. Sie wissen nicht, ob ihr Job sicher sei und geben entsprechend weniger Geld aus.
Modernisierung angemahnt
Um die Probleme anzugehen, fordern die Wirtschaftsweisen strategische Investitionen in die Zukunft des Landes. Dafür nötig seien ein Verkehrsinfrastrukturfonds und Mindestquoten für Bildungs- und Verteidigungsausgaben. Deutschland gebe seit 1995 konstant weniger Geld für Zukunftsinvestitionen aus als die europäischen Nachbarn. Das habe Folgen: Im Bahnnetz beispielsweise seien besonders die für Pünktlichkeit relevanten Bauteile wie Stellwerke und Bahnübergänge in schlechtem Zustand.
Die Bildungsausgaben müssten ebenfalls erhöht werden. Schnitzer bezeichnete die für Deutschland zuletzt schlechten Ergebnisse der PISA-Studie als „erbärmlich“. Dass die Unternehmen, bei denen viele Menschen mit schlechtem Grundwissen eine Ausbildung oder Arbeit aufnehmen, bessere Bildung nicht viel stärker einforderten, wundere sie.
Auch bei der Digitalisierung im Finanzsystem hinke Deutschland hinterher. Dadurch verschenke das Land Potenziale für Innovationen und Effizienzsteigerungen. Vor diesem Hintergrund schlagen die Sachverständigen die Einführung des digitalen Euros vor: Er könne eine kostengünstige, sichere Alternative für digitale Zahlungen bieten, die unabhängig von nicht-europäischen Zahlungsdienstleistern ist und den Wettbewerb erhöht.
Zudem mahnen die Wirtschaftsweisen mehr Wohnraum in Ballungsräumen an. Eine Mietpreisbremse funktioniere nur, wenn gleichzeitig das Angebot erhöht würde, sonst stiegen die Neuvermietungen überproportional. Das hindere Menschen daran, berufsbedingt umzuziehen.
Diskussion um die Zukunft des Landes
Im Podiumsgespräch mit ZEW-Präsident Achim Wambach wurde klar, dass strukturelle Probleme immer erst im Nachhinein offenbar würden. Für Deutschland gebe es auch einige Sondereffekte in den letzten Jahren: Die Covid-Pandemie und die Energiekrise. Dass allerdings der Export nicht so stark steige, trotz der wachsenden Weltwirtschaft, sei ein strukturelles Problem.
Die Publikumsfragen richteten sich natürlich auch auf die aktuelle politische Situation: Einen Bruch der Regierung habe man beim Verfassen des Gutachtens nicht antizipiert und in die Prognosen einfließen lassen. In ihren letzten Veröffentlichungen hätten die Wirtschaftsweisen nötige Maßnahmen für einen wirtschaftlichen Aufschwung aber deutlich gemacht. Deutschlands Wachstumsschwäche sei definitiv ein Problem für Europa.
Zum Abschluss stellten Wambach und Schnitzer fest, man müsse an vielen Stellschrauben drehen: eine Antwort allein würde nicht reichen, um die deutsche Wirtschaft schnell wieder auf Kurs zu bringen.
ZEW-Förderkreis verleiht Preise
Noch vor dem Vortrag von Monika Schnitzer ehrten die Vorsitzenden des ZEW-Förderkreises, Dr. Ralph Rheinboldt und Ann-Kristin Stetefeld, sechs ZEW-Forschende und -Mitarbeiter mit zwei Preisen für herausragende Arbeiten. Der Förderkreis vergab die mit jeweils 5.000 Euro dotierten Auszeichnungen für beste Forschungs- und die beste Beratungsleistung aus dem ZEW zum siebten Mal.