Der Mobilitätswandel gestaltet sich als komplexe Aufgabe
VeranstaltungsreihenPodiumsdebatte um neue Verkehrskonzepte in Stuttgart
Das Klima verändert sich und mit ihm die Mobilität der Menschen. Bereits jetzt sind unsere Infrastruktur- und Verkehrsnetze überlastet, was mehr und mehr Schadstoffemissionen und damit Luftverschmutzung in Innenstädten verursacht. Die Trends hin zu alternativen Antrieben, Carsharing und Autonomem Fahren signalisieren, dass sich ein Mobilitätswandel vollzieht. Wie gelingt dieser Wandel so, dass wir uns in Zukunft klimafreundlich fortbewegen können? Um diese zentrale Frage ging es bei der gemeinsam organisierten Podiumsdebatte zum Thema „Mobilität der Zukunft – Den Wandel gestalten“ des ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim und des Ministeriums für Verkehr des Landes Baden-Württemberg am 14. Mai 2019 in der Baden-Württembergischen (BW) Bank in Stuttgart.
Vor rund 200 Gästen lieferten sich ZEW-Präsident Prof. Achim Wambach, PhD, Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann, MdL, Prof. Dr. Cordula Kropp, Inhaberin des Lehrstuhls für Technik- und Umweltsoziologie an der Universität Stuttgart, sowie Manfred Fuhg, Leiter der Mobility-Sparte Deutschland des Technologiekonzerns Siemens, eine spannende Auseinandersetzung, die deutlich machte, wie kontrovers das Thema für Wirtschaft, Politik und Gesellschaft ist.
„Solche Debatten sind wichtig, um unseren Blick für den Wandel zu schärfen und die sich bietenden Chancen zu be- und ergreifen“, hielt Claudia Diem, Vorständin der BW-Bank und des ZEW-Förderkreises, zu Beginn der Veranstaltung fest. „In Stuttgart zeigen sich die Probleme und Chancen der Mobilität wie unter einem Brennglas“, unterstrich Joachim Dorfs, Chefredakteur der Stuttgarter Zeitung und Moderator der Debatte. Abgasbelastung und Staus auf der einen Seite würden Wohlstand und Prosperität von Stadt und Region auf der anderen Seite, für die vor allem die Automobilindustrie am Standort sorge, gegenüber stehen.
In der Diskussion stellte ZEW-Präsident Achim Wambach schnell klar, dass mit zunehmendem Mobilitätsbedürfnis der Menschen der Verkehr nicht unterbunden, sondern in die richtigen Bahnen gelenkt werden müsse. „Eine steuernde Wirkung hat zum Beispiel eine smarte City-Maut“, führte der Ökonom an. Die Zukunft bringe eine Vielfalt an Transportmöglichkeiten, etwa rechne die Automobilindustrie bis zum Jahr 2021 mit den ersten straßenfähigen Pilotprojekten für Autonomes Fahren. „Die Kräfte des Marktes müssen auf die Präferenzen der Menschen wirken, die Politik hat dabei viele Gelegenheiten zur Gestaltung.“
Mobilitätswende bedeutet Energiewende
Winfried Hermann pflichtete dem bei: „Die Politik kann diesen Wandel gestalten.“ Der motorisierte Individualverkehr würde allerdings noch mehr zunehmen, wenn eine zielgerichtete Steuerung ausbliebe. Individuelles Fahren sei extrem aufwendig, traditionell transportierten 2,5 Tonnen Fahrzeug etwa 80 Kilogramm Mensch. „Das ist ineffizient“, befand der Minister. Kollektiv genutzte Fahrzeuge könnten eine Lösung für dieses Problem sein, der technische Fortschritt müsse dahin gehen, dass die Bevölkerung dauerhaft nachhaltig mobil ist. „Wir verbrauchen immer noch viel Platz, Energie und Ressourcen, vor allem in unseren Städten“, so Hermann, „Mobilitätswende bedeutet auch Energiewende“.
Eine kritische Ressource in dieser Rechnung sei Zeit, betonte Manfred Fuhg. Das käme in der Frage zum Ausdruck, wie lange wir tagtäglich im Stau stehen. „In Zeiten, in denen Fahrzeuge immer fähiger werden, miteinander zu kommunizieren, haben wir die Chance, den Verkehr zu optimieren“, sagte der Siemens-Manager. Die Digitalisierung sei dabei das tragende Medium. So habe es für Konzepte wie den intermodalen Verkehr, also verbundene Transportketten für Personen und Güter, bis vor einigen Jahren noch keinen Markt gegeben – der jetzt dank der Digitalisierung da sei.
In diesem Punkt gab Cordula Kropp zu bedenken, dass die Digitalisierung per se nicht klimagerecht sei. Im Zuge des Transformationsprozesses müsse einkalkuliert werden, dass Rohstoffe wie Kobalt und Lithium, die für die vielgepriesene Elektromobilität notwendig seien, häufig in politisch instabilen Ländern und kaum unter klimaneutralen Bedingungen abgebaut würden. „Der Mobilitätswandel ist ein Gemeinschaftswerk“, erklärte die Wissenschaftlerin weiter. Die Politik müsse vorbereiten, die Spielregeln aushandeln und die regulatorischen Rahmen setzen, die Bürgerinnen und Bürger jedoch gemeinsam mit den Unternehmen die Gestaltung übernehmen. „Wir müssen uns auf Experimentierphasen einstellen“, so Kropp.
Den Rahmen weiter spannen
Fehlende Rechtssicherheit führe in einer risikoaversen Welt jedoch dazu, dass Unternehmen zurückhaltend agierten, warf ZEW-Präsident Achim Wambach ein und erläuterte: „Ein Projekt wie Autonomes Fahren ist für ein Unternehmen allein schwer zu stemmen und wenn, dann wird es sich mit den Wettbewerbsbehörden auseinandersetzen müssen.“ Der Rahmen müsse deshalb viel weiter gespannt werden. Aus Mobilitätsdaten ließe sich herauslesen, wo wie viel Verkehr vorhanden ist und wie sich dieser Verkehr dann steuern ließe. „Wichtig ist aber, die Daten öffentlich zugänglich zu machen“, so Wambach.
Am Ende des Abends zeigte sich an den Reaktionen des Publikums, dass das Ende der Debatte noch nicht erreicht ist. Welchen Energieverbrauch bringt der Datentransfer mit sich? Wie lässt sich eine intelligente Flächennutzung in neue Verkehrskonzepte einbinden? Und wie macht man eine Verkehrswende der Bevölkerung begreiflich und nimmt sie dabei mit? Diese und weitere Fragen bewegten die Gäste und das Podium gleichermaßen.
Das ZEW dankt der BW-Bank Stuttgart für die Unterstützung der Veranstaltung.