Trotz EZB-Zinssenkungen erwarten Experten/-innen geringes BIP-Wachstum
Konjunkturtableaus von ZEW und Börsen-ZeitungUnsicherheit prägt Erwartungen für Deutschland und die Eurozone
Die Expertinnen und Experten für Konjunktur erwarten nach einem leichten BIP-Wachstum in Deutschland im ersten Quartal 2024 eine weiterhin verhaltene Entwicklung. Die Zinssenkung der EZB im Juni 2024 führte nicht zu optimistischeren BIP-Prognosen. Für 2025 wird weiterhin ein gemäßigtes Wachstum in Deutschland erwartet. Die Experten/-innen sind vermutlich aufgrund eines Anstiegs der Inflationsrate im Mai und der damit verbundenen Unsicherheiten bezüglich der geldpolitischen Entscheidungen der EZB pessimistischer hinsichtlich weiterer Zinsschritte. Für 2024 wird eine Stabilisierung der Inflationsraten erwartet, die Prognosen für 2025 verändern sich nicht. Die Wachstumserwartungen für die Eurozone haben sich für 2024 leicht verbessert, während für 2025 weiterhin ein moderates Wachstum erwartet wird. Das zeigen die Konjunkturtableaus von ZEW Mannheim und Börsen-Zeitung.
Das reale BIP in Deutschland wuchs im ersten Quartal 2024 um 0,2 Prozent gegenüber dem vierten Quartal 2023. Gleichzeitig beschloss die Europäische Zentralbank (EZB) im Juni 2024 eine erste Zinssenkung, was allgemein als Indiz für nachlassenden Inflationsdruck im Euroraum gewertet werden durfte. Diese positiven in- und ausländischen Nachrichten schlagen sich jedoch aktuell nicht in den Erwartungen der Expertinnen und Experten nieder. Für das Jahr 2024 prognostizieren diese weiterhin einen Anstieg des deutschen BIP in Höhe von 0,2 Prozent. Die Spannweite der individuellen Wachstumserwartungen sinkt hingegen um 0,3 Prozentpunkte auf einen Wert von 0,6 Prozentpunkten, was in Anbetracht des Prognosehorizontes auf eine vergleichsweise hohe Einigkeit unter den Befragten hindeutet. Mit einem Wert von 1,1 Prozent liegt die Wachstumsprognose für das Jahr 2025 um 0,1 Prozentpunkte unter dem Vormonatswert aber dennoch über der Erwartung für das Jahr 2024.
Uneinigkeit bei Experten/-innen bezüglich Zinsentscheidungen
Die oben beschriebene Entwicklung der Wachstumsprognosen könnte mit den geldpolitischen Erwartungen der Expertinnen und Experten zusammenhängen. Die Erwartungen an die kurzfristigen Zinsen auf Sicht von drei Monaten steigen gegenüber Juni um 0,3 Prozentpunkte auf einen neuen Wert von 3,7 Punkten. Somit scheinen die Expertinnen und Experten etwas pessimistischer bezüglich weiterer Zinsschritte noch im aktuellen Jahr geworden zu sein. Dies könnte mit dem im Mai beobachteten Anstieg der Inflationsrate im Euroraum zusammenhängen, was eventuell von einigen Expertinnen und Experten als Indiz dafür interpretiert wurde, dass der Inflationsdruck noch nicht überwunden ist. Dies würde zu der Tatsache passen, dass die EZB weitere Zinssenkungen primär datenbasiert vornehmen möchte. Die Uneinigkeit unter den Expertinnen und Experten zeigt sich auch in einer relativ hohen Spannweite der Erwartungen in Höhe von 0,9 Prozentpunkten. Es ist somit denkbar, dass eine hohe Unsicherheit über die weitere Inflationsdynamik und die damit zusammenhängenden geldpolitischen Entscheidungen der EZB zu den nur geringen Anpassungen der Wachstumserwartungen für Deutschland beigetragen hat. Die Zinserwartung für das Jahr 2025 liegt hingegen unverändert bei einem Wert von 2,8 Punkten. Für das kommende Jahr werden somit weitere Zinssenkungen prognostiziert.
Inflationsrate bleibt konstant
In Anbetracht des naheliegenden Zusammenspiels von Inflations-, Zins- und Wachstumserwartungen lohnt sich ein Blick auf die aktuellen Inflationsraten. Diese liegen im Juni bei 2,2 Prozent für Deutschland (minus 0,2 Prozentpunkte gegenüber Mai) und 2,5 Prozent für das Eurogebiet (minus 0,1 Prozentpunkte gegenüber Mai). Somit hat sich der im Mai beobachtete Aufwärtstrend bei den Teuerungsraten bereits nach einem Monat wieder umgekehrt. Auf Sicht des gesamten Jahres 2024 werden sowohl für Deutschland als auch das Eurogebiet wie schon im Vormonat Inflationsraten in Höhe von 2,4 Prozent erwartet. Die prognostizierten Inflationsraten für das Jahr 2025 haben sich ebenfalls nicht verändert und werden sowohl für Deutschland als auch das Eurogebiet mit 2,1 Prozent angegeben. Die geringen Veränderungen bei den Inflationserwartungen bekräftigen somit den Eindruck dass der Anstieg der Inflation im Mai von vielen Expertinnen und Experten eher als Ausreißer betrachtet wird.
Wachstumserwartungen für Eurozone steigen nur gering
Die Quartalswachstumszahlen für das Eurogebiet werden mit 0,1 Prozent im vierten Quartal 2023 und 0,3 Prozent im ersten Quartal 2024 angegeben. Es mehren sich somit die Anzeichen für eine langsame aber stetige wirtschaftliche Erholung. Die Wachstumserwartungen für das Jahr 2024 steigen um 0,1 Prozentpunkte auf einen neuen Wert von 0,8 Prozent. Für das Jahr 2025 wird hingegen weiterhin ein Wirtschaftswachstum in Höhe von 1,5 Prozent erwartet. Die geringen Veränderungen der Wachstumserwartungen für die Eurozone hängen vermutlich ebenfalls mit der Unsicherheit der Expertinnen und Experten über die weitere Entwicklung der Inflationsraten und der damit verbundenen Zinsentscheidungen zusammen.
Konjunkturtableaus von ZEW und Börsen-Zeitung
In Kooperation mit der Börsen-Zeitung veröffentlicht das ZEW seit dem Jahr 2013 monatlich Konjunkturtableaus für Deutschland und die Eurozone mit volkswirtschaftlichen Kennzahlen und Prognosen. Zahlreiche Banken und Institute veröffentlichen in unterschiedlichen Abständen Berichte über die aktuelle und voraussichtliche wirtschaftliche Lage. Aus diesen Publikationen werden die für das Tableau relevanten Informationen herausgefiltert und der Median, das Minimum und das Maximum aus den Prognosen für das jeweils laufende und dessen Folgejahr berechnet.
Die monatlich veröffentlichten Konjunkturtableaus zeigen die aktuellen Prognosen für das Bruttoinlandsprodukt (BIP), die Verwendungskomponenten des BIP, Verbraucherpreise, Industrieproduktion, Arbeitslosenquote und lang- und kurzfristige Zinsen sowie Zinsdifferenzen. Der Fokus liegt auf nationalen Informationsquellen, allerdings ergänzen die Prognosen einiger internationaler Banken und Institute die Datenbasis des Tableaus. Das Tableau für den Euroraum wird zudem noch mit Daten von europäischen Banken und Instituten erweitert.