Entwicklung und Validierung wissenschaftlicher Indikatoren über den Zusammenhang zwischen Kriminalität, sozialer Kohäsion und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit
Entwicklung und Validierung wissenschaftlicher Indikatoren über den Zusammenhang zwischen Kriminalität, sozialer Kohäsion und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit
Das Europäischen Parlament vertritt die Auffassung, dass Arbeitslosigkeit, soziale Desintegration, mangelnde Integrationspolitik und die Verschlechterung der städtischen Dienstleistungen und Lebensqualität Gefühle der Frustration und der Hoffnungslosigkeit vor allem bei wirtschaftlich und sozial schwachen Gruppen verursachen und einen Nährboden für delinquentes Verhalten darstellen. Weiterhin vertritt das Europäische Parlament die Auffassung, dass sowohl die zunehmende Armut als auch die daraus resultierende soziale Ungleichheit mutmaßliche kriminalitätsbegünstigende Faktoren darstellen. Aufgrund dieser vermuteten Interaktionen hat die Europäische Kommission ein Projekt mit dem Titel "Entwicklung und Validierung wissenschaftlicher Indikatoren über den Zusammenhang zwischen Kriminalität, sozialer Kohäsion und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit" ausgeschrieben, welches in der Zeit vom 1/12/1998-29/2/2000 vom ZEW bearbeitet wurde.
Vorrangiges Ziel des Projektes war es, ein besseres Verständnis für die Zusammenhänge zwischen Kriminalität, wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und sozialer Kohäsion zu schaffen. Die Projektbearbeiter verfolgen dieses Ziel, in dem sie einerseits die existierende quantitativ-ökonomische und quantitativ-kriminologische Forschung auswerten und andererseits eigene empirische Untersuchungen durchführen. Letzteres geschieht auf der Grundlage nationaler Zeitreihendaten der 15 EU Mitgliedsstaaten, eines internationalen Länderquerschnittsdatensatzes, sowie eines eigens für das Projekt erhobenen regionalen Paneldatensatzes von acht EU Mitgliedstaaten.
Die im Rahmen des Projekts durchgeführte originäre Forschung erhärtet zum einen die Ergebnisse der Metaanalyse, steuert andererseits aber auch neue Erkenntnis zur empirischen Kriminalitätsforschung bei. So zeigen die Untersuchungen die besondere Bedeutung familiärer Strukturen für das Kriminalitätsaufkommen auf. Eine geringere Anzahl von Ehescheidungen und frühes Heiraten wirken signifikant kriminalitätsreduzierend. Im gleichen Zusammenhang zeigt sich, dass eine nachlassende elterliche Fürsorge, wie sie z.B. in einem Zuwachs der Frauenerwerbstätigkeit zum Ausdruck kommen könnte, kriminalitätsfördernde Effekte hat. Weitere signifikante Zusammenhänge zwischen Arbeitsmarkt und Kriminalität äußern sich in den signifikanten Parameter-Schätzungen für Indikatoren der Arbeitslosigkeit, Arbeitsbefristung und Teilzeitarbeit. Überdies ergaben die Analysen, dass ein höheres Wohlstandsniveau mit einer Zunahme von Eigentums- und Drogendelikten einhergeht und andererseits eine Zunahme von Drogendelikten einen expansiven Effekt auf die Eigentumskriminalität ausübt.
Im Gegensatz zur Ursachenforschung, die bereits sehr weit entwickelt ist, setzte sich die empirische Kriminalitätsforschung bislang kaum mit den Rückwirkungen der Kriminalität auseinander. Deshalb war es ein besonderes Anliegen dieses Projekts, Erkenntnisse über die Auswirkungen von Kriminalität auf die soziale Kohäsion und insbesondere auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu gewinnen. Die Ergebnisse der Analysen mit stark disaggregierten europäischen Paneldaten lassen darauf schließen, dass höhere Kriminalitätsraten die ökonomische Entwicklung einer Region negativ beeinflussen. Letzteres äußert sich sowohl in einer Reduktion der Beschäftigtenrate als auch in einem Rückgang der Wachstumsrate des Bruttoinlandsproduktes.
In Anbetracht des großen Einflusses von sozialer Kohäsion auf das Kriminalitätsaufkommen und der negativen Rückwirkungen von Kriminalität auf die ökonomische Leistungsfähigkeit, kann resümiert werden, dass Kriminalitätsbekämpfung nicht ausschließlich eine Aufgabe der Innenpolitik bleiben, sondern ebenso auf die Agenda von Sozial- und Wirtschaftspolitik gesetzt werden sollte.